Gedichte auf das Leben und zum Abschied

Erstellt am 17. Januar 2020

Bei der Enthüllung des Gedenkbandes für die Familie Cramer am 17. Januar 2020 vor der Prinzregentenstraße 9 wurden einige sehr anrührende Gedichte von Martin Cramer vorgelesen. Wir sind dankbar, dass wir sie hier veröffentlichen dürfen:

Zum 50. Geburtstag von Clara Cramer

Die Zahl von fünfzig Rosen
Band man in diesen Strauss,
Dass festlich sie mit Duft und Farbe
Erfüllen heute unser Haus.

Es ist der Strauss der fünfzig Jahre,
Die Du, Geliebte, hast gelebt,
Es ist der Strauss von Leid und Freuden,
Die Du in dieser Zeit erlebt.

In ihm sind eingeschlossen alle Tage,
An denen Du gelacht, geweint,
Sie wissen von den vielen Menschen,
Die Dir in Liebe schon vereint.

Sie wissen von den vielen Stunden,
Die Du im Glück gelacht,
Und wissen von so manchen Nächten,
Da sorgend Du gewacht.

Sie wissen aber auch, wie mutig
Dein Herz in jeder Stunde schlug,
Und wie es lebte für uns alle
Und unser Glück in Händen trug.

Und wissen, dass mit heitrem Sinne
Du Beispiel warst im Schmerz,
Und wie Dein guter Geist war sichtbar immer,
So spürbar wie Dein gutes Herz …

So sei Dir jede dieser Rosen
Als Liebeszeichen heut geweiht,
Und jede eine sei Dir gleichsam
Wie eine Träne unsrer Dabkbarkeit.

(Martin Cramer, 26. August 1936, mitgeteilt von Claire Jebsen)

Das Erinnerungsband erinnert an die Familie Cramer

Jüdische Jugend

Es war um uns der ganze Schmerz der Zeit,
der uns umfängt in jeder Stunde,
Und heut erschien das Leben uns besonders freudlos,
wir spürten tiefer unsre Seelenwunde …

Da sahen wir auf einer bunter Au
Die jungen Menschen der Gemeinde,
Wie sie voll Anmut und Bewegung
Ein Trommelklan im schönen Spiel vereinte,

Wie sich die Körper frei und unbewschwert
In einem edlen Rhythmus bäumten,
Wie sich die Köpfe strafften, und die Augen
Hinauf zum blauen Himmel träumten,

Wie sich in Sprung und schnellem Lauf
Des Jünglings hoher Ehrgeiz reckte,
Und wie das Mädchen, kräftig und behend
Gleich der Gazelle sich im Wettkampf streckte.

Und sah’n nebst aller Schönheit dieses Bilds –
das wir so bald nicht mehr vergessen werden –
die frohe ungeborch’ne Lust in dieser ganzen Jugend,
Der Sieger und der Sigerinnen glückliche Gebärden.

Verschwunden ist der Stunden Schmerz!
Was dieses schöne Spiel gezeigt, verheissen,
Was diese Körper und Gesichcter ausgedrückt,
War heisser Lebenswille – niemals zu entreißen,

Waren die Zeichen einer Kraft,
Die nimmer können lügen –
die Jugend, die so froh und stark,
Lässt niemals um das Leben sich betrügen
Und zwingt das Leben, auch wenn es fren und weit …

Uns aber ist ein Trost in diesen Heilgen Tagen,
Dass wir die Jugend wissen stark und froh,
Und leichter werden wir den Schmerz daheim ertragen.

(Augsburg, am Rüsttag des Neujahrsfest 1936 der lieben Urschie (Lammfromm)
zur Erinnerung an ihre Siege von Onkel Martin Cramer
)

Der Glanz um siebzig Jahre

In das Dunkel dieser Tage
Strahlt ein helles Licht –
Heute ist ein Glanz auf jedem
Deiner Freunde Angesicht.

Denn in der Geburtstagsreihe
Zehn mal sieben rundet sich,
Und wir wollen tiefbeweget
Zeigen, wie wir lieben Dich.

Alle sind gleich uns im Geiste
Deine Lieben mit uns da,
Über Länder, über Meere,
sind wir Dir unendlich nah.

Darum sei wie stets heut tapfer,
Liebe schlingt ihr innig Band
Auch in dieser Festtagsstunde
Sich um Dich von Land zu Land.

Bleib Du Gütige und Gescheidte
Uns ob nah, ob fern
Lange noch die gute Freundin,
Die wir haben gern.

Und der Glanz des schönen Tages,
Der Dich heut umgibt,
Soll allzeit um Dich verbleiben
Als ein Zeichen wie man
Dich verehrt und liebt

Zum 70. Geburtstag unserer lieben Hedwig Epstein am 28. Juli 1941
[Hedwig Epstein (19871-1944) war die Großmutter von Marianne, der Ehefrau von Ernst Cramer]

Widmung zum Abschied

Besinne Dich, dass diese Stadt
und Alles, was in ihr um Dich geschah,
die Seele Dir geformt.
Und wenn die Umwelt feindlich ward
so mindert dies den tiefen Wert der Heimat nicht,
die diese Stadt Dir immer bleiben wird.

Blick‘ daher hin auf diese Häuser, Straßen, Gassen,
die nun im Bilde von Dir Abchied nehmen.
Blick hin auf die zu Stein geword’ne Pracht der alten Stadt.

Die Brunnen, Winkel, Straßen, Bogen
und verschwieg’nen Gässlein grüßen Dich.
Um Deines hier gelebten Lebens tausendfache Stunden
In der Erinnerung wachzuhalten.

Und so mag auch in der Fremde
Wenn Du wirst an’dre, neue Bilder sehen,
mit einem Blick in dieses Buch
Der alten Heimat Angesicht
immer aufs Neue Dir erstehen.

(Martin Cramer, Abschiedsgedicht für eine Emigrantin in einem Bildband von Augsburg, o.D., mitgeteilt von Ernst Cramer)

Das Lied ist aus

Zwar klingen noch im Haus
Die Melodien leise nach.
Jedoch, es ist vorbei. Das Lied ist aus.

(Martin Cramer, Gedicht, 1942 nach der Deportation von der Köchin auf dem Küchentisch gefunden, mitgeteilt von Ernst Cramer, Rede vom 15.10.2003)